(1) Shirov,A (2715) - Postny,E (2616) [C95]
Bundesliga 2006-7 Tegernsee GER (9), 04.02.2007
[Fabian Doettling]

Dies war eine der entscheidenden Partien des Kampfes zwischen dem OSC Baden-Baden und Eppingen beim Bundesligawochenende in Tegernsee. Alexei Shirov ist auch dieser Jahr wieder eine DER Stützen in der Baden-Badener Mannschaft. So gewann er nicht nur am Vortag gegen den amtierenden russischen Meister Evgenij Alekseev und trug somit einen wichtigen Punkt zum 6-2 Erfolg über Tegernsee bei, sondern bezwang auch in der vorliegenden Partie den israelischen GM Evgenij Postny sehr eindrucksvoll. Die Partie kann auch durchaus als Musterpartie gelten, die das "Prinzip der Zwei Schwächen" sehr anschaulich illustriert.

1.e4 e5 2.Sf3 Sc6 3.Lb5 a6 4.La4 Sf6 5.0-0 Le7 6.Te1 b5 7.Lb3 d6 8.c3 0-0 9.h3 Sb8 10.d4 Sbd7 11.Sbd2 Lb7 12.Lc2 c5
Diesen Zug hat der jugoslawische GM Svetozar Gligoric in die Praxis eingeführt.

13.d5
soweit eine der Hauptvarianten des Breyer-Systems in der spanischen Eröffnung. Weiss schliesst das Zentrum ab, sichert sich und am Koenigsfluegel Raumvorteil und sucht dort traditionellerweise sein Glueck. [Die Alternative ist natürlich 13.Sf1 ]

13...c4?!
mit diesem recht modernen Zug sichert sich Schwarz dasFeld c5 fuer seinen Springer und moechte im folgenden Spiel am Damenfluegel initiieren. Im Hinblick auf diese Partie sollten die Schwarzspieler vielleicht zur traditionellen Spielweise zurückkehren, nach welcher Schwarz an dieser Stelle mit g6 fortfährt, um infolgedessen eine Auffangstellung am Koenigsfluegel mittels Sh5 einzunehmen. [13...g6 14.Sf1 Sh5 15.Lh6 Sg7 (>=15...Te8 16.b3 (16.g4?! Sf4=/+ ) 16...Lf6 17.a4 Lg7 18.Lg5 Dc7 19.g3 Shf6~~ ) 16.Se3 Kh8 17.a4 Sf6 18.b3 Tb8 19.De2 Lc8 20.axb5 axb5 21.Ta7 Sg8 22.Lxg7+ Kxg7 23.Tea1 Sf6 24.Ld3 Ld7 25.Da2+/= und aufgrund der Kontrolle über die einzige offene Linie stand Weiß in der Stammpartie dieser Variante Karpov-Gligoric Leningrad 1973,1-0(63) etwas besser ]

14.b3!?
dieses durchaus logische Aufrollen der schwarzen Bauernkette stellt das schwarze Konzept direkt in Frage. Bisher versuchten die Weißspieler in den meisten Partien ihr Glück am Königsflügel zu suchen. Der Textzzug ist indes keine Erfindung von Shirov, sondern wurde Anfang letzten Jahres von Evgenij Alekseev erstmals angewendet. [14.Sf1 ist die Hauptvariante]

14...cxb3N
[in der Vorgaengerpartie geschah 14...Dc7 doch auch hier konnte Schwarz nicht völlig ausgleichen 15.bxc4 bxc4 16.Tb1 Tab8 17.De2 Tfc8 18.La3 Sb6 19.Tb2 Sfd7 20.Teb1 La8 21.g4 Sf8? (21...g6+/= ) 22.Sxe5! dxe5 23.Lxe7 Dxe7 24.Txb6 Txb6 25.Txb6+- Alekseev-Sorokin, Aeroflot Open 2006, 1-0 (33)]

15.axb3 Dc7 16.Lb2 Sb6 17.Sf1 Sfd7 18.Se3 g6 19.b4!?
ein sehr interessantes strategisches Konzept: Weiß nimmt dem schwarzen Springer das Feld c5 und verhindert a6-a5 was den Bauern a6 rückständig macht. Im Folgenden wird er bemüht sein den Vorstoß c3-c4 durchzusetzen

19...Sc4
mit diesem Abtausch versucht Schwarz sein Spiel etwas zu erleichtern

20.Sxc4 Dxc4 21.Sd2 Dc7 22.Sb3
Weiß macht sich erneut an die Vorbereitung des Hebels c3-c4

22...Sb6 23.Ld3
Shirov gibt lieber einen seinen Läufer ab, um seinem Springer das Feld a5 und später c6 zu sichern. [am Tausch der Springer nach 23.Sa5 Sc4 24.Sxc4 Dxc4 25.Ld3 Dc7~~ ist Weiß nicht interessiert. ]

23...Sc4
[Die Alternative zum Textzug bestand in 23...Sa4 wobei es nicht klar ist, welchen Läufer Schwarz eliminieren sollte 24.Dd2 (Vom Qualitätsopfer ‹24.Txa4?! bxa4 25.Sa5 sollte Weiß besser Abstand halten, da Schwarz über den wichtigen Zwischenzug 25...a3! verfügt. Z.B.: 26.Lxa3 (26.La1 f5! 27.exf5 Lxd5 (27...gxf5?! 28.c4© ) 28.fxg6 (28.c4 Lf7 29.fxg6 Lxg6 30.Lxg6 hxg6 31.Dd3 Kh7 32.Dxa3 Db6-/+ ) 28...Da7! 29.gxh7+ Kh8 30.Tf1 Txf2! 31.Txf2 Tf8-+ ) 26...Dxc3=/+ und es ist sehr fraglich ob Weiß genügend Kompensation besitzt.) 24...f5 (24...Sxb2 25.Dxb2+/= ) 25.Sa5 Lh4 (25...fxe4 26.Lxe4 Tf4 27.Sxb7 Dxb7 28.Lc1 Tc8 29.Ta3 Dc7 30.Dd3 Tf7 31.Le3+/- ) 26.Te2 (26.exf5 Lxd5~~ ) 26...f4 27.f3 Lg3 28.c4+/= ]

24.Lxc4 Dxc4
[24...bxc4?! 25.Sa5+/- ]

25.Sa5 Dc7 26.Dd2 f5 27.c4 bxc4 28.Tac1
Dies ist ein weiterer kritischer Moment in dieser Partie

28...fxe4?!
[Schwarz sollte besser mit >=28...Tac8 fortsetzen und falls 29.Txc4 Db6 30.Sc6 so stünde ihm das interessante Qualitätsopfer 30...Txc6!? zur Verfügung, was ihm zumindest aktives Gegenspiel verspräche. (nach 30...Lxc6 31.dxc6+/- wäre der weiße Freibauer auf c6 sehr stark) 31.dxc6 Lxc6 32.exf5 Txf5© ]

29.Txe4 Tac8 30.Texc4
das ist der Unterschied im Vergleich zu 28...Tc8. Nun sind die weißen Türme bereits auf der c-Linie verdoppelt und der auf c6 eindringende weiße Springer kann nicht sinnvoll entfernt werden.

30...Db6 31.Sc6 Lf6
[31...Lxc6 32.dxc6 Tc7 33.Dd5+ Kg7 34.T4c2 Db5 35.De4+/- ]

32.Kh2
nun da Weiß den Schwarzen am Damenflügel erfolgreich eingeschnürt und dem Nachziehenden dort sozusagen die erste Schwäche zugefügt hat, bereitet er folgerichtigerweise die Errichtung einer zweiten Front und das Schaffen einer weiteren Schwäche vor. Zu dieser weiteren Schwaeche hat Alexei den schwarzen Koenig auserkoren

32...Tce8 33.f4!
Auf diese Stellungsöffnung hatte Weiß in den letzten Zügen hingearbeitet

33...exf4?
danach scheint Schwarz erstaunlicherweise schon auf verlorenen Posten zu stehen. [Die Öffnung des Spiels musste um jeden Preis verhindert werden. Nach >=33...e4! 34.Lxf6 Txf6+/= hielte sich der weisse Vorteil noch stark in Grenzen]

34.Txf4->
nun ist der 'Hexer aus Riga' in seinem Element. Er trägt den Schlussangriff gegen den schwarzen König energisch und unnachgiebig vor. Bemerkenswert ist, dass weder die schwarze Dame noch der Läufer b7 sich an der Verteidigung ihres Herrschers beteiligen können

34...Lxb2 35.Txf8+ Txf8 36.Se7+!+-
ein wichtiges Zwischenschach, welches die unsichere Stellung des schwarzen Monarchen betont [‹36.Dxb2?! De3~~ ]

36...Kf7 37.Dxb2 Te8
[37...Kxe7 38.Dg7+ Ke8 39.Te1++- ]

38.Sc6 Kg8
das scheint forciert zu verlieren, doch es war schon schwer etwas anderes vorzuschlagen [nicht besser scheint 38...Lxc6 39.dxc6 d5 40.Da2+- und Weiß sollte keine allzu großen Probleme haben seinen starken Freibauern c6 in einen vollen Punkt zu verwandeln; 38...De3 39.Sd8+! Kg8 (39...Txd8 40.Tc7++- ) 40.Sxb7 ]

39.Df6 Dc7
Schwarz benoetigt noch einen Zug um mittels Dd7 seine Stellung halbwegs zu konsolidieren, doch dazu wird es nicht mehr kommen [kaum besser ist 39...De3 40.Tf1 Lxc6 41.Df7+ Kh8 42.dxc6+- ]

40.Se5! De7
[Das Schlagen des Turms hätte ein schönes Mattfinale zur Folge: 40...Dxc1 41.Df7+ Kh8 42.Dxe8+ Kg7 43.De7+ Kh6 44.Df8+ Kh5 (44...Kg5 45.Sf3+ Kh5 46.g4# ) 45.g4+ Kh4 46.Sf3# ]

41.Sg4
mit der Drohung Sh6#

41...Df8 42.Tc7 Lxd5 43.Dd4
und Schwarz gab sich angesichts der vielen weißen Drohungen geschlagen. Eine sehr schoene und sehr anschauliche Leistung von Alexei Shirov. Es kommt selten vor, dass das Prinzip zweier Schwaechen derart klar nachvollzogen werden kann und es ist eindrucksvoll, wie harmonisch die weissen Figuren beim Schlussangriff zusammenwirkten. 1-0