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12. Februar 2015

GRENKE CHESS CLASSIC 2015 – eine Nachlese am offenen Kaminfeuer

Initial_3.GCCWas für ein Turnierereignis, was für ein Aufwand für Schach! Über eine sechsstellige Investition wird gemunkelt, auf dass sich ein Traum erfülle. Federführend dabei das Schachzentrum Baden-Baden e.V., ein Kind der GRENKE-Stiftung; und ähnlich eng in die Organisation eingebunden: die Ooser Schachgesellschaft Baden-Baden 1922 e. V., der Traditionsverein, der heuer mit der 1. Bundesliga-Mannschaft auf die 10. Deutsche Herren-Mannschaftsmeisterschaft in Folge zusteuert und vielen Weltklassespielern eine sportliche Plattform bietet. Das Wichtige, rückblickend, schon jetzt: das dicke Lob und der herzliche Dank an alle Beteiligten, die eine großartige Veranstaltung in all ihren Facetten selbstlos verwirklicht haben. Allein der Turniersamstag mit über 400 Besuchern war eine echte organisatorische Herausforderung!

Zurück zum Kernbereich, in den Spiegelsaal des Kulturhauses LA8, wo Turnierdirektor Sven Noppes einen letzten prüfenden Blick auf die sensiblen Bereiche wirft und Hauptschiedsrichter Dr. Markus Keller an der Akkuratheit seines Outfits keine Zweifel zulässt. Schachlegende Vlastimil Hort übt sich in stiller Bescheidenheit und wählt einen Außenplatz von den hinteren Stuhlreihen. Als Zuschauer hat er bereits jetzt gewonnen.

Hort_1Bestimmte Vorgänge wiederholen sich für die nächsten Tage: Sinfonisches von Beethoven webt einen unsichtbaren Vorhang aus wohltemperierten Klängen um die Bühne und stimmt auf den Turnierbeginn ein. Plötzlich strecken alle die Köpfe aus: Die acht Hauptakteure eilen nacheinander zur Begrüßung in den Saal. Das Blitzlichtgewitter und Personengewühl, vor der erhöhten Spieltischreihe, dauert jedes Mal knapp 10 Minuten. Nach der offiziellen Freigabe wird es mucksmäuschenstill. Die Gesamtkulisse ändert mit Anteilnahme beim Zuschauerkollektiv, unter sorgfältiger Beobachtung der Turnierleitung und den gestrengen Mienen der Sicherheitsbeauftragten, ihren Charakter in eine meditative Brettschau, die stundenlang anhalten wird. Der diffuse Lichteinfall über der Bühne erlischt, die vier Tischflächen glühen auf, und die figurenbesetzten Bretter liegen ab sofort im Zentrum der Interessen.

Den allerersten Schachzug des Turniers führt – noch bevor der Pressetrubel richtig verebbt und nach kurzer englisch-deutscher Begrüßungsrede – Wolfgang Grenke, der Vorstandsvorsitzende der GRENKELEASING AG aus. Er erinnert damit an die Baden-Badener Turniertradition, die 1870 begann und durch dieses Weltklasseturnier fortgeführt wird. Mehr ist in einer unterhaltsamen und informativen Kolumne auf Chessbase zu erfahren. In einer der nächsten Runden zieht Jens Thieleke, 1. Vorsitzender der OSG Baden-Baden, die erste Figur an, doch für ausholende Worte reicht die Zeit nicht mehr. Jonas Vincent Jurga assistiert, stets clever, wenn’s darauf ankommt, ebenfalls und stellvertretend für alle Jugendlichen, die vom Erfolg des Vereins geradezu magisch angezogen werden. Dies ist nicht zuletzt ein Ergebnis aus der Arbeit hochklassiger Trainer, darunter die Schachgroßmeister Philipp Schlosser, Roland Schmaltz und Arkadij Naiditsch, sondern auch der Jugendleiterin Irene Steimbach, die gerne wie die anderen Kaffee, Kuchen und Softdrinks an die Besucher verkauft.

Verpflegung_KristallsaalDie Verpflegung ist üppig und gut gewählt, ein Verdienst des 2. Vorsitzenden der OSG Baden-Baden, Gerhard Eckarth, der seine ehemalige Profession als Hotelbetreiber nicht zu verbergen braucht. Auf der anderen Seite des Raums steht Schatzmeister Patrick Bittner und verlangt Eintritt. Daneben ist die Ausgabe für die funkversorgten Kopfhörer, die freundliche Damen von der OSG Baden-Baden abwechselnd aushändigen.

Welche unterschiedlichen Blickwinkel bei einem Schachturnier eingenommen werden, zeigen die fleißig erstellten Pressemitteilungen, die auf Schritt und Tritt das Turniergeschehen verfolgen und das eine oder andere Apercu beisteuern. Darunter die unwirsche Reaktion des amtierenden Weltmeisters auf die erneute Niederlage, in der 3. Runde, gegen Arkadij Naiditsch, den sein Eintritt, vor wenigen Monaten, in die Ehe mit Yuliya Shvayger regelrecht zu beflügeln scheint. Wieweit das auf andere Schachgrößen zutrifft, ist schwer zu sagen, aber häufig sind die Spielerfrauen, die oft selbst hervorragendes Schach spielen, zugegen und fiebern oder helfen mit. Hinzu kommen pittoreskes Bildmaterial, soweit es gehoben auftaucht, und die kurzen Video-Clips, die lebendiges Turniergeschehen zu fernen Orten bringen.

Die globale Vernetzung funktioniert nahezu perfekt: die Zahl der eingesetzten Kameras, Mikrofone und Bildschirme ist verwirrend, die verstreut ausgelegten Kabelstränge sind beachtlich lang, und bergen manchmal die Gefahr Stolperfallen zu bilden. Gleich vier Kommentatoren berichten in Echtzeit über das Turniergeschehen und analysieren die Partien unermüdlich, selbst wenn es einmal länger geht, wie gerade am letzten Turniertag, bis kurz vor Mitternacht. Zu lang für Baden-Badens vielbeschäftigte Oberbürgermeisterin Margret Mergen, die vorzeitig die Segel streicht. Stammweise harren dagegen die Schachgroßmeister Klaus Bischoff und Sebastian Siebrecht, im großen Kristallsaal, an manchen Tagen etwas verloren aus, während ein Flügel aus der Werkstätte Seiler in einer Ecke ruht, auf dem seltsamerweise nur am Eröffnungstag Trink- und Essbares lastet.

All over the WorldDie anderen beiden Kommentatoren, u. a. die Schachgroßmeister Jan Gustafsson und Nigel Short, sind in einer modernen Stube des westlichen Gebäudeflügels untergebracht, wo die resümierenden Interviews mit den zum Teil erschöpft und ernüchtert wirkenden Spielern geführt werden. Hier besteht unmittelbare Nähe zum Knotenpunkt des Schachportals chess24, also zur Außenwelt, die nicht zu kurz kommen soll. Draußen, gen Osten, ist noch Wintertrübe über die Oos und die Lichtentaler Allee ausgebreitet.

Der Blick schweift ab, bleibt am eisernen Monument Richard Serras haften, das sich in der Mitte für einen schmalen Fußweg öffnet, der hinüber zur Staatl. Kunsthalle reicht. Er erinnert ein bisschen an schwere Zeiten, an die „Berliner Mauer“ mit ihren spärlichen Korridoren. Eine Besonderheit, die zum Glück nur noch im Sprachgebrauch von Schachenthusiasten existiert. Sie bezeichnet eine zäh sich verteidigende Eröffnungsvariante in der Spanischen Partie, mit Verlust des Rochaderechts für den schwarzen König durch frühen Damenabtausch. Ein Traum, eine solche Partie aus der Ferne zu verfolgen oder nachzuspielen. Folgendes Bild zeigt die Diagrammstellung nach dem achten Zug von Weiß aus der 4. Blitzpartie im Stechen um den Turniersieg zwischen Weltmeister Magnus Carlsen und Arkadij Naiditsch.

Berliner Mauer

G a l e r i e                      A r t i k el (Zeit online)

 

 

(Siegfried Haußmann)